Führung & Leadership

Die dunkle Seite der Ziele – Wenn Richtung zum Tunnel wird

Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.
Dieses oft zitierte Wort von Seneca bringt auf den Punkt, was wir über Ziele gelernt haben: Sie geben Richtung, motivieren uns und fördern unsere Effizienz. Das ist bekannt – und funktioniert. Aber genau deshalb lohnt es sich, hinzuschauen: Was passiert, wenn Ziele zu gut funktionieren?

Ziele sind mächtige Werkzeuge. Doch wie jede Münze haben auch sie eine Kehrseite. Dieser Beitrag beleuchtet, wie Ziele uns ausbremsen, fehlleiten oder sogar in die Irre führen können – und was wir dagegen tun können.


1. Ziele als Alles-oder-Nichts-Falle

Viele Ziele haben eine binäre Logik: erreicht oder verfehlt.
Dabei geraten die Fortschritte auf dem Weg schnell aus dem Blick. Wer sich vornimmt, einen Marathon zu laufen, aber bei Kilometer 21 aussteigt, gilt als gescheitert – obwohl das genau die Distanz eines Halbmarathons ist. Hätte man sich diesen vorgenommen, wäre es ein voller Erfolg gewesen.

Richard Thaler bringt es prägnant auf den Punkt:
„Wenn eine Olympia-Goldmedaille die einzige Möglichkeit zum Bestehen ist, will man eigentlich nicht mal einen ersten Gymnastikkurs machen.“

Diese Logik macht uns blind für Teilerfolge – und frustriert statt zu fördern.


2. Wenn Ziele ein Eigenleben entwickeln

Ziele entstehen oft aus einer Werterwartung:
„Ich möchte meine Fitness verbessern“ – daraus wird ein Marathon-Ziel.
Im Training merke ich: Ich bin fitter, Treppensteigen fällt leichter, ich fühle mich besser. Ziel erfüllt? Eigentlich ja.
Doch nun steht der Marathon im Raum – und das Ziel wird zum Selbstzweck. Die ursprüngliche Motivation verblasst. Das Ziel löst sich vom „Warum“.


3. Ziele sind starr – die Welt nicht

Ziele werden in der Gegenwart formuliert – für eine Zukunft, die wir nicht kennen.
Drei Dinge erschweren das:

  • Unsere Informationen zum Zeitpunkt der Zielformulierung sind zwangsläufig unvollständig.
  • Wir leben in einer stochastischen Welt: Ereignisse sind oft zufällig, nicht vorhersagbar.
  • Systeme sind komplex – kleine Veränderungen können große Effekte haben.

Fazit:
Unflexible Ziele passen nicht in eine dynamische Welt.


4. Ziele machen uns kurzsichtig

Ein definiertes Ziel mit klarem Weg kann helfen – oder verhindern, dass wir alternative, vielleicht bessere Wege erkennen.
Ein bekanntes Beispiel: Spencer Silver, Chemiker bei 3M, wollte einen starken Industriekleber entwickeln. Stattdessen erfand er versehentlich einen schwachen, wiederablösbaren Kleber – heute bekannt als Post-it.
Ein Ziel verfehlt? Vielleicht. Ein wertvoller Beitrag? Ganz sicher.


Was können wir tun?

Ziele abschaffen? Nein. Aber wir sollten klüger mit ihnen umgehen. Hier sind vier Strategien:

✅ 1. Jedes Ziel braucht ein „Außer“

Definiere Bedingungen, bei deren Eintreten du das Ziel fallen lässt.
Beispiel: „Ich arbeite an diesem Projekt weiter – außer ich bekomme keine Entscheidungsträger an den Tisch.“


🔄 2. Relevanz regelmäßig prüfen

Frage dich regelmäßig: Dient das Ziel noch meiner ursprünglichen Werterwartung?
Hat sich in meinem Umfeld etwas geändert, das das Ziel überholt oder unpassend macht?


🧩 3. Zwischenziele setzen

Sie helfen dabei, Fortschritt sichtbar zu machen und Motivation aufrechtzuerhalten – selbst, wenn das große Ziel nicht erreicht wird.


🎯 4. Ziele mit Wert verknüpfen

Setze Ziele, die auf etwas Wertvolles einzahlen. Wenn der Weg allein schon einen positiven Effekt hat, ist das Ziel kein Muss – sondern ein Bonus.


Fazit

Ziele sind Werkzeuge, keine Fesseln.
Wer sich ihrer Schattenseiten bewusst ist, kann sie klug nutzen – flexibel, reflektiert und mit Blick für das große Ganze.

Denn manchmal ist es nicht der Hafen, den wir erreichen, der zählt – sondern, was wir auf dem Weg dorthin gelernt und gewonnen haben.

Wie gehen Sie mit Zielen in Ihrem Team oder Ihrer Organisation um?

Lassen Sie uns ins Gespräch kommen – über sinnvolle Zielsetzung, reflektiertes Commitment und Wege, wie man Fortschritt klüger denkt.
👉 Kontaktieren Sie mich gern für einen Austausch oder Impulsworkshop.

Steffen Born

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